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Ethik

Ethik im Klinikalltag

Gemeinsam den besten Behandlungsweg finden

Interview mit: Dr. med Klaus Kobert

Aus: ETHIK KONKRET - bethel»wissen No. 01

» Herr Dr. Kobert, Sie sind Klinischer Ethiker. Warum braucht es eigentlich diese Berufsgruppe? Welche gesellschaftlichen Veränderungen haben dazu geführt, ... dass es diesen Beruf gibt?

Kobert: Ein ganz wesentlicher Punkt ist aus meiner Sicht, dass wir eine rasante medizinische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, die dazu geführt hat, dass wir immer mehr „können“. Auch immer mehr Leben erhalten können, und das ist gut und richtig. Es gibt aber Situationen, in denen wir an Grenzen stoßen und vieles, was wir heute können, zumindest hinterfragt werden muss: Ist das noch zum Nutzen desjenigen Menschen, dem es dienen soll? Entspricht dies seinem Willen? Die Menschen, um die es geht, können uns oft nicht mehr sagen, was sie wollen. Das ist zum Beispiel ein Punkt, an dem die Klinische Ethik ins Spiel kommt.

Neben der technischen Entwicklung gibt es noch weitere Aspekte. Ein Punkt ist sicherlich, dass die Selbstbestimmung einen immer höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft und für jeden Einzelnen bekommen hat. Man möchte heute sehr aufgeklärt in gesundheitliche Entscheidungen gehen und zum Beispiel in einem Aufklärungsgespräch erfahren, welche Vor- und Nachteile ein Verfahren hat, welche Alternativen es gibt oder welche Komplikationen auftreten können. All das ist heute selbstverständlich. Dem müssen wir gerecht werden, wenn die Menschen es nicht mehr für sich selbst formulieren können, weil sie schwer krank sind, im Koma liegen oder auch aus anderen Gründen nicht mehr kommunikationsfähig sind. Und auch da setzt die Ethik ein.

Ein weiter Punkt ist, dass die Welt heute pluralistischer ist, das heißt, es ist nicht klar, was von jedem Einzelnen als richtig oder falsch angesehen wird. Unterschiedliche individuelle Weltanschauungen, Überzeugungen und religiöse Aspekte spielen eine große Rolle und genau diese müssen wir herausfinden.

» Und wie genau kann ich mir das vorstellen? Was genau sind Ihre Aufgaben als Klinischer Ethiker?

Kobert: Die Aufgabe oder das vorrangige Ziel der Ethik im Krankenhaus besteht darin, einen bestmöglichen Behandlungsweg für die Patientin bzw. den Patienten zu finden. Die Frage zu klären: Was ist zum Wohle und im Sinne dieses Menschen? Das versuchen wir in Zusammenarbeit mit allen, die dazu etwas Entscheidendes beitragen können, herauszufinden.

» Und wie kommt der erste Kontakt zu Ihnen zustande? Wer wendet sich an Sie? Sind das Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte oder auch Angehörige, die Sie aufsuchen?

Kobert: Bei der Frage muss man unterscheiden, über welche Art der Ethikberatung wir sprechen. Es gibt zum einen das Ethikkomitee des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld, das alle zwei Monate tagt. Daneben gibt es Ethikvisiten, die wir – meine Kollegin Frau Löbbing und ich – mittlerweile in zehn Bereichen regelmäßig durchführen. Wir gehen regelmäßig zu bestehenden Visitenterminen und klären, ob auch ethische Aspekte besprochen werden müssen.

Zum anderen gibt es Fallgespräche, die nach Bedarf kurzfristig möglich sind und von uns durchgeführt werden. Diese Fallgespräche werden von sehr unterschiedlichen Personen angefordert. Die meisten Anforderungen kommen aus der Ärzteschaft oder von der Pflege. Daneben gibt es häufig Anregungen von der Seelsorge, aber auch von Angehörigen und manchmal von den Patientinnen und Patienten selbst.

» Wenden sich auch Mitarbeitende von stationären Pflegeeinrichtungen innerhalb der vBS Bethel an Sie?

Kobert: Ja, obwohl unser Hauptaufgabengebiet sicherlich die Krankenhäuser (Ev. Krankenhaus Bielefeld und Mara) sind. Aber wir haben auch aus anderen Bereichen Anfragen, wie beispielsweise aus der Behindertenhilfe und gelegentlich aus der Altenhilfe und dem Hospiz. Zudem gibt es auch Anfragen von außerhalb, wenn etwa ein Hausarzt einen Unterstützungsbedarf hat und um die Moderation eines Fallgespräches bittet.

» Wenn Sie die Fallgespräche, die im Rahmen der Krankenhäuser, im Bereich der Altenhilfe oder in der Behindertenhilfe stattfinden, miteinander vergleichen: Wie unterscheiden sich diese Gespräche?

Kobert: Im Akutkrankenhaus haben wir den größten Anteil der Fallgespräche bezüglich Patientinnen und Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden. Im Wesentlichen geht es dann um die Frage, was das Ziel unserer Behandlung ist. Ist es noch richtig, auf Heilung und Entlassung hinzuarbeiten, oder müssen wir doch ein anderes Therapieziel einschlagen, welches eher auf Linderung von Schmerzen und stärker auf Begleitung ausgerichtet ist.

Wenn wir uns die psychiatrische Klinik ansehen, geht es häufig um die Frage der Zwangsbehandlung. Wie geht man damit um, wenn ein Mensch, der psychiatrisch erkrankt ist, seine Medikamente nicht nehmen will: Kann oder muss man sein Recht auf Selbstbestimmung wahren oder muss man fürsorglich in seinem Interesse und im Interesse anderer handeln?

In der Altenhilfe geht es häufig um die Frage der künstlichen Ernährung: Soll man zur künstlichen Ernährung eine PEG-Sonde anlegen? Ist das zielführend im Sinne des erkrankten Menschen?

Sehr unterschiedlich ist es in der Behindertenhilfe. Dort geht es auch um den Aspekt der künstlichen Ernährung, aber beispielsweise auch um die Frage, ob chronisch Erkrankte bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes noch ins Krankenhaus eingewiesen werden sollen.

» Und wenn Sie ein ethisches Fallgespräch durchführen, wie kann man sich das ganz konkret vorstellen? Wer sitzt da zusammen?

Kobert: Im Fallgespräch ist es so, dass die Teilnahme erst einmal freiwillig ist. Und jeder, der etwas Entscheidendes zu der betroffenen Person beitragen kann, wird eingeladen. Wir achten besonders darauf, dass die juristisch Verantwortlichen dabei sind, das heißt der behandelnde Arzt und der Patient bzw. seine gesetzliche Vertretung. Weiterhin sind zum Beispiel Ärzte, Pflegende, Seelsorger, Psychologen, Ergotherapeuten und auch andere Berufsgruppen beteiligt. Alle, die mit diesem Patienten betraut ist. Und natürlich nehmen Angehörige und, wenn möglich, der Patient selbst teil.

» Und am Ende eines ethischen Fallgespräches kommen Sie zu einem Konsens?

Kobert: Ja, in 95 Prozent der Fallgespräche kommen wir zu einem Konsens. Und wenn kein Konsens zustande kommt, besteht der nächste Schritt darin, zu klären, ob ein zweites Gespräch stattfinden wird und wie viel Zeit dazwischen liegen soll.

Für die Umsetzung einer Empfehlung sind jedoch immer zwei Personen entscheidend: Die Ärztin bzw. der Arzt legt fest, was medizinisch sinnvoll indiziert ist, und die betroffene Person bzw. ihre gesetzliche Vertretung willigt ein oder nicht. Die Empfehlung des Fallgespräches würde dann gegebenenfalls formal durch diese beiden Entscheidungsträger in eine Anordnung umgesetzt.

» Herr Dr. Kobert, Sie haben als Mitglied einer Arbeitsgruppe an dem „Ethischen Referenzrahmen“ mitgearbeitet, der unter Vorsitz von Herrn Pastor Wolf entstanden ist. Dieses Papier wird immer wieder benannt. Wie ist Ihre Einschätzung: Wozu kann der „Ethische Referenzrahmen“ beitragen?

Kobert: Der Prozess der Erstellung war für mich eine durchweg positive Erfahrung. Die Vertreter der verschiedenen Bereiche haben sehr konstruktiv und offen miteinander gearbeitet. Unser Ziel bestand darin, eine gemeinsame Basis für ethische Entscheidungsfindungen in unseren verschiedenen Arbeitsfeldern zu schaffen. Und ich denke, dass uns dies gut gelungen ist, indem wir gemeinsam erarbeitet haben, was in den vBS Bethel wichtig ist und nach welchen Vorgaben ethische Entscheidungsfindungen durchgeführt werden.

»Und woran, würden Sie glauben, kann man in fünf Jahren erkennen, dass 2014 dieses Papier eingeführt wurde? Was wird in fünf Jahren anders sein?

Kobert: Grundsätzlich beobachte ich, dass ein Prozess angestoßen wird und das Papier in allen Bereichen diskutiert wird. Aus den Diskussionen im Rahmen des Ethikkomitees im Krankenhaus kann ich berichten, dass es Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge gegeben hat. Pastor Wolf hat sich mit Vertretern unserer Ethikkomitees getroffen, um diese Verbesserungsvorschläge für eine Überarbeitung, die in einem Jahr stattfinden soll, zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn Fälle besprochen werden, wird der „Ethische Referenzrahmen“ herangezogen, um die Grundhaltung der vBS Bethel genauer in den Blick zu nehmen: Bewegen wir uns im Rahmen dessen, was abgesteckt ist? Ich nehme zurzeit deutlich wahr, dass das Papier „lebt“ und gehe davon aus, dass es einen Effekt haben wird.

Was ich mir für die Zukunft wünsche, ist, dass die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen durch ein solches Papier reibungsloser funktioniert, zum Beispiel bei einer Verlegung vom Krankenhaus in die Altenpflegeeinrichtungen und zurück. Dass ein besserer Informationsaustausch gegeben ist und man im Idealfall, wie es das Papier vorsieht, bei ethischen Entscheidungen bereichsübergreifend Fallgespräche führt, damit für alle beteiligten Institutionen eine gleiche Richtung erkennbar wird.

» Sie erhoffen sich durch das Papier eine stärkere Vernetzung innerhalb der vBS Bethel?

Kobert: Ja, das wäre ein wünschenswerter Effekt und ich bin überzeugt, dass es funktionieren wird. Und an diesem Erfolg hätte das Papier einen großen Anteil.

» Wenn Sie auf all Ihre Erfahrungen zurückblicken: Was würden Sie sagen, ist in ethischen (Fall-)Gesprächen die größte Herausforderung?

Kobert: Wenn ich als Moderator ein Ethikgespräch führe, sind für mich die größte Herausforderung sehr dominante Persönlichkeiten, die sehr fordernd und sehr lautstark auftreten. Entscheidend ist dann, das richtige Maß zu finden, so dass alle zu Wort kommen und auch alle anderen Standpunkte angemessen gewürdigt werden und Einzug in die Empfehlung finden. Dies empfinde ich als Moderator als eine schwierige Aufgabe. Und wenn man es aus einer anderen Richtung betrachtet, natürlich Fälle, die einem persönlich sehr nahegehen. Auch dann sind ethische Fallgespräche sehr belastend und schwierig.

» Gibt es zum Abschluss noch einen wichtigen Aspekt, den Sie gerne betonen möchten?

Kobert: Mir ist wichtig, zu sagen, dass der Ethikbereich, so wie wir ihn bis heute aufgebaut haben, nicht nur von zwei hauptamtlichen Ethikern – von Frau Löbbing und mir – getragen wird, sondern im Wesentlichen auch von elf Mitarbeitenden, die Ethikberatung nebenamtlich durchführen, also neben ihrer eigentlichen Tätigkeit. Dasselbe trifft für die Ethikkomitees zu, in denen die Kolleginnen und Kollegen sehr engagiert mitarbeiten. Wenn mehr Menschen das Thema Ethik mittragen, wird es lebendig und durch konkrete Personen in den einzelnen Abteilungen auch repräsentiert.

» Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Kobert!

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