 | Offener Raum ... |
Autorin: Marie-Luise Schellong
Aus: Kulturelle und religiöse Vielfalt - bethel»wissen No. 02
An besonderen Einschnitten des Schul- und Kirchenjahres und zu besonderen Ereignissen in der Schullaufbahn der Schülerinnen und Schüler kommen wir als Schulgemeinde in der Zionskirche zusammen und feiern Gottesdienst ... Alle sind eingeladen: Schülerinnen und Schüler, Eltern, Geschwister, Lehrkräfte und Mitarbeitende - ob einer christlichen Konfession zugehörig, konfessionslos oder als Mitglieder einer anderen Religion. Unterschiedlich und bunt ist diese Schulgemeinde und doch singen, beten und hören wir gemeinsam auf die biblischen Verheißungen. Die Schulgottesdienste stellen innerhalb des Schullebens ein Angebot dar. Um den einladenden Charakter deutlich zu machen, braucht es zwei Dinge:
- den erkennbaren und eindeutigen Rahmen, der durch das evangelische Profil der Gottesdienste gegeben ist
- die Offenheit für die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen innerhalb der Schulgemeinde.
Der Rahmen der Schulgottesdienste wird durch wiederkehrende liturgische Elemente gebildet, die für uns die Gründe abbilden, warum wir als Schulgemeinde zusammen Gottesdienst feiern. Er stellt eine Unterbrechung der Unterrichts- und Schulroutine dar – im Eingangsgebet und im Hören auf Psalmworte wird erfahrbar, dass jetzt Groß und Klein im Namen Gottes versammelt sind, der „unsere Herzen und Sinne übersteigt“. Wenn es gelingt, sich auf die Ruhe in der Zionskirche einzulassen, wird dies als eine heilsame Unterbrechung des Trubels in der Schule erlebt.
Das gemeinsame Leben in der Schule mit seinen vielfältigen Begegnungen zwischen den lauten und den stillen, zwischen den ruhigen und aktiven Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften stellt immer wieder eine Herausforderung dar. In den gottesdienstlichen Gebeten und Segensworten vergegenwärtigen wir uns, dass diese Unterschiedlichkeit gewollt und jeder Mensch von Gott her in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bejaht ist.
„Diese Begegnungen brauchen einen Raum für Ehrlichkeit und Offenheit."
Ein fester Bestandteil des Schulgottesdienstes ist das gemeinsam gesprochene Vaterunser. Für uns als Schulgemeinde vergewissern wir uns, dass wir gemeinsam unterwegs sind mit der Vision einer gerechten und menschlichen Welt: „Dein Reich komme“. Wir wissen darum, dass wir – ob Lehrerin oder Lehrer, Schulleiter, Schülerin oder Schüler – einander etwas schuldig bleiben und Fehler machen. Mit dieser Einsicht ist die Bitte um Vergebung eine Grundlage unseres gemeinsamen Lernens. In den Schulgottesdiensten sind Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte eingeladen, sich abseits ihrer schulischen Rollen zu begegnen. Diese Begegnungen brauchen einen Raum für Ehrlichkeit und Offenheit. Um die Begegnungen zwischen den Mitgliedern der Schulgemeinde mit ihren unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen zu ermöglichen, verzichten wir bewusst auf das gemeinsame Sprechen des Glaubensbekenntnisses. Hier würden Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte sich gedrängt fühlen etwas sagen zu müssen, was sie vielleicht nicht fühlen, glauben oder denken.
Innerhalb dieses festen Rahmens bieten die Schulgottesdienste Raum, in welchem Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrer Verschiedenheit mit ihren Erfahrungen, Fragen und Zweifeln zu Wort kommen. Angestoßen durch einen biblischen Spruch oder eine biblische Geschichte setzen sich Schülerinnen und Schüler mit Erfahrungen aus dem Schulalltag auseinander. In der Vorbereitung des Gottesdienstes schauen sie ihre „inneren Landkarten“, also das, was und wie sie etwas wahrnehmen und deuten, aus einem anderen Blickwinkel an – und dabei kann es passieren, dass sich die Perspektive verändert. Dieser Vorbereitungsprozess ist offen für das, was sich zwischen und in den Schülerpersönlichkeiten entwickelt.
Angestoßen durch biblische Texte als Zeugnisse einer oft fremden „Glaubenslandkarte“ setzen sich Schülerinnen und Schüler mit anderen Deutungsmustern auseinander. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind Teil des Schulgottesdienstes. Diese Schüler- und Schülerinnenergebnisse haben im Gottesdienst ihren Raum – in ihrer Vorläufigkeit und Unvollständigkeit laden sie die Schulgemeinde zur Auseinandersetzung mit ihren eigenen Anschauungen und Überzeugungen ein.
Mit diesen gegensätzlichen Polen von festgelegten liturgischen Elementen und Gestaltungsfreiraum, von evangelischem Profil und Offenheit für den interreligiösen Dialog feiern wir Gottesdienst. Und in diesen Gottesdiensten ereignet sich etwas, was der Psalmbeter so ausdrückt: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“
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