| Die Verbindung |
Interview mit: Emine Gözen
Aus: Kulturelle und religiöse Vielfalt - bethel»wissen No. 02
» Frau Gözen, wie kam es dazu, dass Sie sich als Alevitin bewusst für ein diakonisches Unternehmen entschieden haben?
Gözen: Zum einen, weil Bethel ein großer Arbeitgeber ist und eine Vielzahl von Menschen beschäftigt ... Zum anderen waren für mich die religiöse Toleranz der evangelischen Kirche und die große Offenheit einer diakonischen Einrichtung mitentscheidend für mein Interesse an Bethel. Es gibt in den drei großen Religionen unterschiedliche Konfessionen, die zum Teil sehr konservativ sind oder aber eine offene Haltung vertreten. Als Alevitin bin ich in meinem Herkunftsland sehr unterdrückt worden und daher ist mir der Aspekt der Toleranz und Offenheit so wichtig. Und diese Toleranz verbinde ich mit der evangelischen Kirche und der Diakonie.
» Gab es auch etwas, dass Ihnen Sorge bereitet hat?
Gözen: Zu Beginn meiner Tätigkeit nicht. Aber Jahre später wurde ich sehr verunsichert, als ich hörte, man müsse als Mitarbeiterin Bethels in die evangelische Kirche eintreten. Da waren meine ersten Gedanken: Was ist das denn? Wo ist die Toleranz dieser Glaubensrichtung geblieben?
» Können Sie beschreiben, wie Sie die diakonische Kultur in Ihrem Arbeitsleben wahrnehmen?
Gözen: Ich habe mich zunächst theoretisch mit der diakonischen Kultur beschäftigt und verstanden, dass Diakonie bedeutet füreinander dazusein, zusammen zu arbeiten und gemeinsame Ziele zu entwickeln. Das empfinde ich als sehr wertvoll. Und die Vision „Gemeinschaft verwirklichen“ der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel trage ich gerne mit.
» Würden Sie sagen, dass Bethel sich von einem nicht-christlichen Anbieter sozialer Leistungen unterscheidet?
Gözen: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich kann beispielsweise wahrnehmen, aus welchen Personen sich der Vorstand zusammensetzt und welche Bedeutung dabei die Theologen einnehmen. Ich sehe aber auch, wie sehr Bethel wirtschaftliche Aspekte in den Blick nimmt. Und natürlich stelle ich mir die Frage, ob die diakonische Kultur in diesem Prozess langsam verloren geht. Dass Bethel nicht nur eine Einrichtung des Glaubens ist, sondern auch wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen muss, um am Markt bestehen zu können, ist mir klar, aber ich denke, die Vision eines Unternehmens sollte im Vordergrund stehen.
» Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrem beruflichen Alltag: Spielt Ihre religiöse Ausrichtung als Alevitin eine Rolle?
Gözen: Ja und Nein! Leider nehmen mich viele Mitarbeitende automatisch als Muslimin wahr. Dieses „Schubladensystem“ existiert in den Köpfen einiger Menschen nach wie vor - sie sehen mich und glauben eine schwarzhaarige, muslimische Frau aus der Türkei in mir zu erkennen und nehmen keine individuelle Unterscheidung vor. Als Alevitin werde ich weniger wahrgenommen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Bethel für eine Vision steht, die besagt, dass sich alle Menschen als Individuum mit ihrer eigenen Persönlichkeit in diese Einrichtung einbringen können und sollen. Wichtig fände ich es, allen Mitarbeitenden diese Haltung immer wieder zu verdeutlichen.
» Ist es für Ihre Klientinnen und Klienten relevant, dass Sie einen alevitischen Glauben haben?
Gözen: Nein. Ich mache die Erfahrung, dass die Menschen mit einer Behinderung, mit denen ich arbeite, nicht zwischen Religionen oder unterschiedlichen Nationalitäten unterscheiden.
» Wie ist Ihre persönliche Einschätzung: Glauben Sie, dass es in Bethel zukünftig mehr Mitarbeitende unterschiedlicher Religionen und Glaubensrichtungen geben wird?
Gözen: Ich würde mir diese Entwicklung für Bethel sehr wünschen. Auch hinsichtlich der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels ist die Personalsituation ein wichtiger Faktor. Entscheidend ist, dass es Bethel gelingt, seine diakonische Tradition zu bewahren und gleichzeitig seine Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Glaubensrichtungen weiter auszubauen. Bei der Einstellung neuer Mitarbeitender sollte darauf Wert gelegt werden, dass die Fähigkeit, andere zu akzeptieren und ihnen offen gegenüber zu treten, stark ausgeprägt ist. Auch bei Menschen mit Migrationshintergrund sollte dieses Kriterium berücksichtigt werden, da Mitarbeitende ausländischer Herkunft nicht automatisch tolerant gegenüber anderen Religionen oder Nationalitäten sind. Ich fände es wichtig, wenn die Offenheit der diakonischen Prägung dazu führen würde, dass die Vielfalt der Religionen innerhalb Bethels weiter wächst.
» Haben Sie eine Idee dazu, wie das Thema der kulturellen und religiösen Vielfalt in Bethel noch präsenter werden könnte?
Gözen: Ich glaube, dass es wichtig wäre, wenn Bethel mit Hilfe von Bildungsangeboten für die Mitarbeitenden die Entwicklung von Toleranz und Akzeptanz gegenüber Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und soziokultureller Hintergründe weiter fördern würde. Damit findet die Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht nur in den Köpfen der Einzelnen statt, sondern es entsteht ein wirklicher Austausch und Dialog , um Diskriminierung zu verhindern.
» Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, Frau Gözen!
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