| Diagnoseverfahren |
Grundlagen, Chancen und Grenzen
Autor: Prof. Dr. med. Martin Holtkamp
Aus: bethel»wissen No. 03 - Neue Technik
Die Diagnose einer Epilepsie kann dann gestellt werden, wenn bei einem Menschen sicher mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind. Das Problem besteht darin, dass der Arzt diese Anfälle in der Regel nicht gesehen hat ... Er muss also aus den Angaben des Patienten bzw. der Patientin oder im Idealfall aus den Angaben von Augenzeugen rekonstruieren, ob es sich bei dem plötzlich aufgetretenen Ereignis tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat. Viele epileptische Anfälle gehen mit einem Bewusstseinsverlust einher, daher kann der davon betroffene Mensch oft keine Angaben zu dem Ablauf seines Anfalls machen. Etwa die Hälfte der Betroffenen erinnert gar nicht, dass überhaupt ein Anfall aufgetreten ist. Und oft gibt es gar keine Augenzeugen des Anfalls, zumindest keine, die für den Arzt erreichbar sind. All diese Einschränkungen bedeuten, dass mitunter auf weitere technische Untersuchungen zurückgegriffen werden muss, um die Diagnose einer Epilepsie zu stellen oder diese auszuschließen.
Die allseits bekannte Standarduntersuchung in der Epileptologie ist die Messung der Hirnströme. Dieses Verfahren nennt sich medizinisch „Elektroenzephalographie“ – oft besser bekannt unter der Abkürzung EEG. Es wurde vor knapp 100 Jahren in Deutschland (Jena, Thüringen) von dem Arzt Hans Berger erfunden. Bei der Mehrzahl der Patienten bzw. Patientinnen mit einer Epilepsie finden sich während der Routineableitung von 20 Minuten jedoch keinerlei Auffälligkeiten, d.h. das EEG führt oft nicht weiter bei der Frage, ob nun eine Epilepsie vorliegt oder nicht. Hilfreicher ist daher oft eine längere Ableitung über mindestens 24 Stunden oder – in Abhängigkeit von der Fragestellung – auch über mehrere Tage. Bei diesen Langzeituntersuchungen wird in der Regel parallel zum EEG auch eine Videoaufzeichnung von dem Patienten bzw. der Patientin durchgeführt. Im Idealfall wird während dieser Video-EEG-Untersuchung ein Anfall erfasst, der dann sowohl hinsichtlich seines klinischen Bildes als auch hinsichtlich der plötzlichen Änderungen der Gehirnströme analysiert werden kann. Aber auch wenn kein epileptischer Anfall auftritt, hilft eine 24 Stunden-EEG-Ableitung diagnostisch oft weiter, da sich im Schlaf EEG-Veränderungen finden können, die im wachen Zustand nicht zu finden sind. Das Schlaf-EEG kann bei Menschen mit Epilepsie eine Art Lupenfunktion haben.
Wenn eine Epilepsie mit Medikamenten nicht zu kontrollieren ist, d.h. wenn trotz mehrerer Antiepileptika weiterhin regelmäßig epileptische Anfälle auftreten, dann kann bei manchen Patienten bzw. Patientinnen die operative Entfernung des Hirnareals, das die Anfälle auslöst, zur Anfallsfreiheit führen. Dieses Verfahren nennt man Epilepsiechirurgie. Hier sind im Vorfeld eine Reihe von technischen Untersuchungen notwendig, um das anfallsauslösende Hirnareal sicher zu identifizieren. Bei zunehmend mehr Betroffenen muss die EEG-Ableitung nicht nur von der Kopfhaut, sondern direkt vom Gehirn erfolgen. Hierfür werden EEG-Elektroden von dem Neurochirurgen nach Öffnung des Schädelknochens auf den Teil des Gehirns gelegt, in dem der Anfallsursprung erwartet wird. Diese Untersuchung stellt zwar für viele Patienten und Patientinnen eine größere Belastung dar, am Ende geht es aber darum, durch eine Operation Anfallsfreiheit zu erreichen. In den letzten Jahren ist entdeckt worden, dass es ganz bestimmte EEG-Veränderungen gibt (medizinisch: „Hochfrequenz-Oszillationen“), die nicht mit bloßem Auge, sondern erst nach deutlicher Vergrößerung des EEG-Ausschnitts zu erkennen sind. Diese Hochfrequenz-Oszillationen sollen mit einer sehr großen Treffsicherheit das anfallsauslösende Hirnareal anzeigen können. Diese Methode der EEG-Auswertung ist vor zwei Jahren auch am Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg eingeführt worden, sie ist allerdings sehr zeit- und somit personalaufwendig.
Bei einer Reihe von plötzlich auftretenden Ereignissen im Schlaf handelt es sich gar nicht um epileptische Anfälle, sondern um ganz bestimmte schlafbezogene Störungen, wie z.B. dem Schlafwandeln. Rein auf der Basis der Befragung der Patienten bzw. Patientinnen und selbst der Augenzeugen lässt sich für den Arzt oft nicht herausfinden, ob es sich hier um epileptische Anfälle handelt oder nicht. Bei diesen Betroffenen ist eine sehr spezielle Untersuchung notwendig, die eine Reihe von biologischen Parametern während des Schlafs untersucht. Der medizinische Fachbegriff für diese Untersuchung lautet „Polysomnographie“. Hier werden alle Details des Schlafs, wie die Schlafdauer und die Schlaftiefe aufgezeichnet - auch diese Analyse ist sehr zeitaufwendig. Im Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg haben wir seit gut zwei Jahren zwei Polysomnographie-Ableiteplätze. So konnte schon bei vielen Patienten und Patientinnen geklärt werden, was die Ursache ihrer Schlafstörung ist.
Zusammengefasst gibt es neben der wichtigsten Untersuchungsmethode, der ausführlichen Befragung des Patienten bzw. der Patientin, eine Reihe von modernen technischen Methoden, die zur sicheren Diagnosestellung beitragen können, die aber hinsichtlich der Auswertung für Ärzte bzw. Ärztinnen und medizinisch-technische Assistenten oder Assistentinnen zeitaufwendig sind.
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